Der Domino-Killer by Kate Pepper
Autor:Kate Pepper
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Spionage, Belletristik/Krimis, Thriller
Herausgeber: Rowohlt (com)
veröffentlicht: 2012-01-24T18:56:27+00:00
KAPITEL 11
Es war kein Saft mehr in den Batterien des GPS-Geräts, das Jon sich für die Fahrt von unserer Mutter geliehen hatte, also hielt er am Straßenrand an und schaute auf die Karte.
«Sag mir schon, wo wir hinfahren», drängte ich ihn. Zum wiederholten Mal.
«Nicht bevor du dich nicht zusammenreißt.» Jons Gesicht wirkte matt. Blass. Mit fast durchscheinender Haut, unter der es nur aus Angst, Anspannung und Entschlossenheit zu bestehen schien statt aus Knochen, Muskeln und Knorpeln. Er hatte kein gewöhnliches Gesicht, nicht mehr, nicht seitdem er all seine Energie auf das Überleben seiner Familie konzentriert hatte. Ich war stolz auf die Tapferkeit meines Bruders, die er in unserer Notlage bewiesen hatte. Stolz und gleichzeitig wütend, weil er gemeinsam mit Joyce heimlich diese Entführung ausgeheckt hatte.
Keine drei Tage nachdem das Prozac abgesetzt worden war, hatte mich die Dunkelheit wieder eingehüllt. Joyce war aufgefallen, dass das Medikament auf meine Hirnchemie einen schädlichen Effekt hatte und bei mir zu einer «gefährlichen Impulsivität» führte. Wie zum Beispiel dazu, unbewaffnet und allein Jagd auf einen Serienkiller zu machen. Jedenfalls wollte ich nun nicht mehr rausgehen. Nur noch herumsitzen. Allein. In meiner abgedunkelten Wohnung. Immer wieder über denselben Augenblick meines Lebens nachgrübeln. Mein Versagen analysieren und sezieren. Mich für meine Feigheit hassen. Alles zutiefst bedauern. Obwohl ich das Richtige getan hatte, an jenem Tag in der Herrentoilette im Convention Center, als ich Martin Price in die Augen schaute und in ihm den Menschen erkannte, war es doch ein Verrat an mir selbst gewesen.
Weshalb hatte ich es nicht fertiggebracht, ihn zu töten?
In diese Frage war ich ganz versunken, allein in meiner dunklen Wohnung, die ich nicht mehr verlassen wollte. Allein sein. Für immer, allein.
Wieso nur? Das war alles, was ich wissen wollte. Falls von einem Willen überhaupt die Rede sein konnte.
Mir war nicht sehr viel geblieben. Ich hatte alles verloren, worauf es ankam: Jackson, Cece, meinen Mut; meinen inneren Wesenskern, der mich erst zu einem vollwertigen Menschen machte.
Wenn ich mich von der Welt zurückzog, niemandem zur Last fiel und nichts mehr vom Leben erwartete … Nicht durch einen erneuten Selbstmordversuch um Aufmerksamkeit bettelte … Nur allein in der Dunkelheit vegetierte … Wenn ich das alles tat, mich von der Zeit verschlucken ließ, während ich immer nur über diesen einen Augenblick nachdachte – mich so von dem Schmerz befreite, der all dem vorangegangen war, und von allen Hoffnungen für die Zukunft –, dann konnte ich weiterleben. Existieren. Ohne die gnadenlosen qualvollen Erinnerungen, mit denen mein Gedächtnis mich gegen meinen Willen überspülte.
«Schau dich doch nur an», sagte Jon zu mir, die ich zusammengesunken auf dem Beifahrersitz kauerte, während er fuhr. Er sah dabei weiter auf die Straße, und dennoch spürte ich, dass seine gesamte Aufmerksamkeit mir galt. «Schau dich doch nur an.» Genau das hatte er auch gesagt, als er vor zwei Tagen zu mir in die Wohnung gekommen war, nachdem man JPP ins Gefängnis geworfen hatte und Jon mit seiner Familie zurück in ihr Zuhause gezogen war: Schau dich doch nur an, du bist der Inbegriff von Leid und Elend.
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